Aufruf
zur freilwilligen Abtretung eigenthümlicher Kirchensitze in den
sämmtlichen Kirchen.
Bei den veränderten Zeiten und kirchlichen Bedürfnissen, und namentlich bei der baulichen Er¬
neuerung fast aller unserer Gotteshäuser ist die Frage öfter aufgeworfen worden, ob nicht dahin ge¬
strebt werden sollte, die eigenthümlichen Kirchensitze frei zu machen. Dieser Gedanke ist bei der
Erneuerung der St. Martins-Kirche auch wirklich ins Leben getreten, indem dort auf die einfache
Bitte des verehrten betreffenden Geistlichen die weitaus größte Anzahl der eigenthümlichen Sitze ge¬
schenkt worden sind, und von den wenigen noch jetzt eigenthümlichen immerfort noch welche geschenkt
werden.
Bei Anlaß der bald vollendeten Restauration des Münsters ist nun der Wunsch nach allgemein
freien Kirchensitzen durch einen Anzug im großen Rath laut geworden. Nach Ueberweisung desselben
an die hohe Regierung und nach eingeholtem Gutachten des Ehrwürdigen Kirchenrathes und des
Kirchen- und Schulcollegiums hat nun das Letztere von E. E. kleinen Rath den Auftrag erhalten,
auf angemessene Weise die Freigebung der Kirchensitze nach Möglichkeit anzubahnen, und
zwar für alle unsere Kirchen gleichzeitig.
In dieser Absicht wenden wir uns nun vertrauensvoll an die geehrten Eigenthümer von Kirchen¬
sitzen und kommen dieselben gebührend zu ersuchen, den Bemühungen der Behörde zur Erzielung freier
Sitze großmüthig entgegen zu kommen. Sollte Mancher einwenden, daß bei der nun einmal bestehen¬
den Einrichtung und den erworbenen Rechten eine Freigebung oder Schenkung mit vielen Nach¬
theilen verbunden sei und daß mancher ältere und schwächlichere Kirchenbesucher nur von seinem
gewohnten Platze aus Erbauung finden könne, so glauben wir auf diese Einwendung entgegnen zu
können, daß gerade nach erlangter Freiheit der Sitze um so mehr zu erwarten ist, es werde dem
Alter in vollem Maaße die gebührende Ehrerbietung erwiesen werden.
Der Hauptübelstand bei dem jetzigen Zustande ist der, daß die Nichtbesitzer von Plätzen entweder
regelmäßig mit Freisitzen auf Anhänkern und hinter der Kanzel vorlieb nehmen oder Gefahr laufen
müssen, aus andern eigenthümlichen Sitzen vertrieben zu werden. Letzterer Umstand, der leider noch
immer und nicht allzuselten vorkommt, giebt jedesmal ein solches Aergerniß und paßt so wenig in
eine christliche Versammlung, daß dieß allein schon ein gewichtiger und ernstlichher Grund für die
angestrebte Freigebung ist.
Wir bitten deßwegen alle geehrten Eigenthümer von Sitzen, sich zu deren Schenkung entschließen
zu wollen. Ein jeder der dieß thut, trägt mit dazu bei, in unserem kirchlichen Leben einem Uebel¬
stand abzuhelfen, und wer im ersten Augenblick mehr an das ihm auferlegte Opfer, als an den da¬
durch erlangten allgemeinen Vortheil denken sollte, der wird gewiß in nächster Zukunft sich mitfreuen,
wenn das schöne Ziel erreicht ist. Wir dürfen beifügen, daß der Erfolg in der St. Martins-Kirche
und die dort gemachten Erfahrungen gewiß zu manchem großmüthigen Entschluß beitragen werden.
Es wird in nächster Zeit den verehrten Besitzern eine Schenkungs-Liste ins Haus gebracht wer¬
den, worin sich dieselben alsdann einzuzeichnen freundlich ersucht werden.
Basel den 18. Oktober 1855
Für das Kirchen- und Schul-Collegium.
Der Präsident:
Adolf Christ des Raths.