Verehrtester, lieber Herr Hofrath
Ihr liebes Schreiben, das ich heute früh erhalten, hat meine träge Seele aufgerüttelt, welche immer nur sehr schöne Ausrede fand, sich nicht hinzusetzen und einige Worte an die besten, folglich auch nachsichtigsten Freunde zu schreiben. Entweder war im Zimmer Reinigung mit dem Kehrbesen, welcher nichts anderes erreicht, als den Staub zu déplacieren. Dabei wird er zwar vermindert, indem ein Theil davon aus dem Fenster fliegt, ein anderer weggeathmet wird, wozu in meinen Lungen genügend Platz ist. Oder es wird im Nebenzimmer sehr laut gesprochen, über zu machende Einkäufe für's Essen. Ich höre da mit Ergebung, mit was für Stoffen ich heute mein Leben anfmuntern werden muss. (schöne Sprache!) Indem ich schreibe huscht meine Frau schonungsvoll leise ordnend im Zimmer herum. Aber unentwegt schreibe ich heute weiter und erinnere Sie an die getreue Schilderung der Leiden des guten Siebenkäs, die mir hier einfallen. Jean Paul schreibt da seine Erfahrungen nieder. Ein Haupthindernis aber war das anhaltend schöne Wetter, in Folge dessen wir immer auf der Strasse uns befanden, die längs dem Meer von hier nach Lerici führt. Keine Luft und Sonne ist so wohlthuend, dass dieser Genuss sogar den des Briefschreibens zuweilen übertreffen kann. Heute nicht, obschon kein Wölkchen am Himmel zu sehen ist. Nun zur Beantwortung Ihres werthen Schreibens vom 7ten December! Erstlich bin ich mir leider zu gut bewusst, seit langer Zeit keinen Brief geschrieben zu haben, an jemand, durch welchen Sie direct oder indirect hätten über mich etwas erfahren können. Das jämmerliche Gefühl, das Bewusstsein meiner Schulden macht, dass ich mir so lumpig vorkomme, wie die Kerle, die vor meinem Fenster in der Sonne liegen; die schreiben auch nicht und glauben doch Etwas zu sein, wenn ihnen die Sonne auf den Pelz brennt. An J. Joachim habe ich doch am 28 November einen Gruss und Dank für den seinigen aus Vulpera geschrieben. So ein ganz infamer Lump bin ich also doch nicht, wie ich im k.u.k. österreichischungarische Generalconsulat aufgeschrieben bin. Zweitens: Das Atelier in Hottingen ist mir wirklich, wie Sie voraussetzten feil und würde deshalb zum Selbstkostenpreis 40,000 f. Vierzigtausend francs, lassen. Natürlich leer. Das Haus ist von einem der besten Architekten Prof. des Polytechnicum gebaut und hat alles in allem 32000 gekostet. Eine treffliche Luftheizung ist die Zierde, der Hauptwert dessen. Wenn gewünscht kann auch der Ofen, den ich hinein gestellt habe, stehen bleiben. Der Boden ist, seit ich ihn von der Familie Bleuler gekauft habe, um mehr als das Doppelte im Werth gestiegen. Es wird überflüssig sein, über solche Details zu sprechen. Entweder will der Betreffende das Atelier, oder er will es nicht, der Preis ist der genannte. Für ihre freundlichst angebotene Mühewaltung bin ich Ihnen sehr dankbar, besorge aber, dass Ihre Arbeit zu unverhältnismässig Fortsetzung gross sein werde, in welchem Falle ich Sie bitte, einen Geschäftsmann ad latum zu nehmen, der mit Vergnügen die paar fränkli verdient. Drittens: Wenn Sie in Colmar bei der dortigen schlechten Beleuchtung die Werke von Grünewald nicht genügend sehen konnten, so mussten Sie doch sicher erkennen, was für ein bedeutender Mann dieser gewesen sein muss, den noch heute von sogenannten Kennern ersten Rangs als ein minderwerthiger Künstler erklärt wird. Es ist ein Unglück, dass solche Leute so unverschämt maulfertig sind, dass andere Andersgesinnte, nicht sich zu muksen wagen, weil diese Kenner Gelegenheit zu einem geräuschvollen Federkrieg mit Freunden ergreifen würden - wo würde ein beschäftigter Mann die Zeit hernehmen, um Zeitungsspalten zu füllen, aber nicht diese halbgebildeten Menschen zu wiederlegen. Denn dieses ist unmöglich - halt! Kein Wort mehr über dieses! Der Arzt (Dr Honegger) hat mir Gemütsruhe empfohlen, und auch Ihnen, verehrtester Herr, will ich Ihre gute Laune mit diesem unerfreulichen Zeug nicht verderben. Meiner Frau geht es nicht recht gut. Des Nachts hat sie Herzklopfen und Convulsionen mit so raschem Puls, dass mir in meiner Unwissenheit Angst wird, die Athemmaschine könnte plötzlich stille stehen. Bei Tage aber ist sie ganz wohl, während mir eine solche angstvolle Nacht schlecht bekommt. Sie trägt mir einen herzlichen Gruss an Ihre liebe Frau Gemahlin auf und ich füge einen nicht minderwerthigen bei, und ist noch vom selben Kaliber, den ich Sie in einem geeigneten Augenblick anzubringen bitte. - Eben erfahre ich, dass Werner von Siemens gestorben ist. Vor 1 Jahr habe ich ihn in seiner vollen Kraft kennen gelernt. Er war von meinem Alter. Diese Todesnachricht berührt mich tief. Am 16. oder 17. hujus verreisten wir endlich nach Florenz wo ich ein Portrait malen werde. Meine Adresse werde ich von dort aus melden, weil ich einstweilen noch nicht weiss, wo ich mein Haupt hinlege. Endlich erfahre ich, durch wessen Güte mir die Allg. Zeitung aus München zukommt. Vielen, besten Dank! Ebenso habe ich die Sendung Papier und Federn erhalten, wie ich das schöne Material zu benutzen verstehe, das sehen Sie - mit dem verrätherischen Siegel des K. K. oesterreichisch ungarischen Consulates. Hier bin ich genöthigt, den geneigten Leser auf den Eingang dieser Epistola zu verweisen, denn ich schreibe die Sachen nicht gerne zweimal. Es war auch eine Schachtel mit Genuesersüssigkeiten (eingemachte Früchte) beigelegt, die meine Ehehälfte sorgfältig unter Schloss und Riegel hält. Jetzt ist es heraus, was ich meiner Frau gedroht habe: Ich werde es Ihnen schreiben. Jetzt, da das Papier zu Ende ist, fällt mir das Beste ein, das ich Ihnen zu schreiben vergessen. Der nächste Brief soll das bringen, wenn ich mich noch erinnere, was mir heute das Beste schien. - Nun am Schluss wünsche ich Ihnen verehrtester Herr, das Allerbeste, Gesundheit und Heiterkeit. Ihrer Frau Gemahlin baldige vollständige Herstellung, dem Bubi meinen Apetit und mir selbt, dass ich Sie bald wiedersehe.
Ihr ergebener A. Böcklin